Der Hauptmann von Köpenick und Cybersecurity: Die Gefahr des blinden Gehorsams in konservativen Strukturen
1906 schrieb Wilhelm Voigt als „Hauptmann von Köpenick“ ein bemerkenswertes Kapitel in die deutsche Geschichte. Gekleidet in eine Hauptmannsuniform, übernahm er die Kontrolle über eine Gruppe Soldaten, ließ den Bürgermeister von Köpenick verhaften und „beschlagnahmte“ die Stadtkasse – alles basierend auf nichts weiter als seiner Uniform und der Autorität, die sie in den Augen seiner Mitmenschen vermittelte.
Mehr als ein Jahrhundert später hat diese Geschichte überraschende Parallelen zur heutigen Cybersecurity. Beide Szenarien zeigen, wie konservative Strukturen und blindes Vertrauen in Autorität gefährliche Schwachstellen schaffen können.
Der Hauptmann von Köpenick und Cybersecurity oder die Macht des „Das macht man so“
Im Fall des Hauptmanns von Köpenick folgten die Soldaten den Befehlen, ohne sie zu hinterfragen. Warum? Weil es nicht üblich war – oder gar erlaubt – die Autorität eines Offiziers in Frage zu stellen. Dieses Verhalten ist charakteristisch für stark hierarchische und konservative Strukturen, in denen Anweisungen „von oben“ nicht hinterfragt werden.
Auch in modernen Organisationen zeigt sich dieses Muster immer wieder – nicht nur in menschlichen Interaktionen, sondern auch im Umgang mit digitalen Systemen. Cyberangriffe wie Social Engineering oder Phishing beruhen auf dieser Schwäche. Angreifer nutzen gefälschte Identitäten, scheinbare Autorität oder vermeintlich legitime Anweisungen aus, um Mitarbeitende dazu zu bringen, sensible Daten preiszugeben, verdächtige Anhänge zu öffnen oder Überweisungen zu tätigen.
Blinder Gehorsam: Ein Einfallstor für Cyberkriminelle
Cybersecurity-Experten wissen, dass Menschen oft das schwächste Glied in der Sicherheitskette sind. Eine typische Phishing-E-Mail funktioniert ähnlich wie die Uniform des Hauptmanns: Sie erweckt den Eindruck von Legitimität, sei es durch eine bekannte Marke, einen vermeintlichen Vorgesetzten oder eine offizielle Sprache. Mitarbeitende folgen den „Anweisungen“, weil sie sie nicht hinterfragen – genauso wie die Soldaten in Köpenick.
In konservativen Organisationsstrukturen ist dieses Risiko besonders groß. Wenn die Unternehmenskultur geprägt ist von „Das haben wir schon immer so gemacht“ oder „Fragen Sie nicht, führen Sie aus“, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Mitarbeitende auch verdächtige oder unübliche Anfragen ausführen, ohne kritisch darüber nachzudenken.
Wie können Unternehmen den „Hauptmann-Effekt“ vermeiden?
Die Lehre aus Köpenick und modernen Cyberangriffen ist klar: Organisationen müssen einen kritischen Umgang mit Anweisungen fördern – unabhängig davon, ob sie von einer Person oder einem System kommen. Hier sind einige Ansätze:
- Kritisches Denken fördern
Unternehmen sollten eine Kultur schaffen, in der Mitarbeitende ermutigt werden, auch scheinbar autoritative Anweisungen zu hinterfragen. Dies kann durch Schulungen und Sensibilisierungskampagnen unterstützt werden. - „Zero Trust“-Ansatz implementieren
In der Cybersicherheit bedeutet „Zero Trust“, dass niemandem – weder intern noch extern – blind vertraut wird. Zugriffsrechte und Anfragen werden systematisch überprüft. - Sicherheitsprotokolle klar definieren
Mitarbeitende sollten wissen, wie sie mit ungewöhnlichen Anfragen umgehen – etwa durch Rückfragen bei einem offiziellen Ansprechpartner oder durch Meldung an die IT-Abteilung. - Technologische Unterstützung
Systeme wie E-Mail-Filter oder Multi-Faktor-Authentifizierung können verhindern, dass Angriffe, die auf Autorität setzen, erfolgreich sind.
Fazit: Vom Köpenickiaden zur modernen Cyberabwehr
Die Geschichte des Hauptmanns von Köpenick ist eine zeitlose Warnung vor den Gefahren des blinden Gehorsams. Während sie in einer preußischen Welt spielte, die auf Uniformen und Befehlen basierte, zeigt sie auch Schwachstellen, die in der heutigen digitalen Welt existieren.
Cyberkriminelle setzen auf das gleiche Prinzip wie Wilhelm Voigt: Sie nutzen autoritär wirkende Erscheinungen und die unkritische Befolgung von Anweisungen aus. Organisationen, die dies erkennen und gezielt entgegenwirken, schaffen nicht nur eine sicherere digitale Umgebung, sondern fördern auch eine resiliente Unternehmenskultur, die Innovation und Eigenverantwortung unterstützt.
Weiterführende Links:
Der Hauptmann von Köpenick (1956) – Wikipedia
Die ganze Geschichte – Der Hauptmann von Köpenick
BSI – Social Engineering – der Mensch als Schwachstelle – Social Engineering – der Mensch als Schwachstelle
Von Phishing bis Vishing: Schwachstelle Mensch – Tagesspiegel Background
Putins Bären in der Cyberwelt – Lanzrath Consulting
Servant Leadership: Die Kunst des Dienen als Führungskraft
Bild: DALL·E 3 | OpenAI